02-11-1007-ku Phänomenologische Kantlektüren in der praktischen Philosophie (Husserl, Heidegger, Ricoeur, Levinas)

Veranstaltungsdetails
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Lehrende: Prof. Dr. phil. Sophie Loidolt; Julia Zaenker

Veranstaltungsart: Seminar

Orga-Einheit: FB02 / Philosophie (Institut)

Anzeige im Stundenplan: 02-11-1007-ku

Fach:

Anrechenbar für:

Semesterwochenstunden: 2

Unterrichtssprache: Deutsch

Min. | Max. Teilnehmerzahl: - | -

Lehrinhalte:
ACHTUNG: Aus gegebenem Anlass wird das SE "Aristoteles‘ Nikomachische Ethik" durch die Lehrveranstaltung "Phänomenologische Kant-Lektüren in der Praktischen Philosophie" ersetzt, da die Aufbereitung dieses Themas als intensives Lektüreseminar im Selbststudium (inkl. unterstützender Audio-Aufzeichnungen) besser für das Home-Learning geeignet ist. 

Alle Modulzuordnungen bleiben erhalten. Die Lehrveranstaltung wird das gesamte Semester über im virtuellen Format geführt.



NEU: SE "Phänomenologische Kant-Lektüren in der Praktischen Philosophie"


INHALT 

Kant hat nicht nur in der theoretischen, sondern ebenso in der praktischen Philosophie Maßstäbe gesetzt, die es unumgänglich machen, sich mit ihm auseinanderzusetzen. In der phänomenologischen Tradition finden sich daher auch etliche Verweise auf Kant, sobald ethische, rechtliche oder politische Fragestellungen auftauchen. Klassische Phänomenologen wie Husserl und phänomenologisch beeinflusste AutorInnen wie Sartre, Ricœur, Arendt und Levinas haben in facettenreichen Kant-Lektüren verschiedenste Annäherungen, Neuinterpretationen, Weiterführungen und Kritikpunkte formuliert. Der Gewinn dieser phänomenologischen Lektüren zeigt sich darin, auf Kants Nähe zu den Phänomenen selbst noch einmal aufmerksam zu machen und damit auch neue Wege zu weisen, die den Denker jenseits einer rigiden Vernunftarchitektonik und Zwei-Welten-Metaphysik fruchtbar machen. Aber auch in der Kritik und Abgrenzung zu Kant werden Konturen sichtbar, die phänomenologisches und kantianisches Denken zueinander in Spannung setzen: Konstruktivismus vs. Intuitionismus sind z.B. die Gegensätze, die Husserl in einer Neuformulierung des kategorischen Imperativs zu versöhnen versucht; Autonomie vs. Heteronomie bei Levinas und Ricœur, die ein Alteritätsparadigma in den Kantischen Diskurs einführen; Pluralität vs. monologische Gesetzesherrschaft bei Arendt, die den ‚ästhetischen’ Kant dem ‚ethischen’ vorzieht. 

Im Seminar sollen zuerst die Grundlinien der Kantischen Ethik anhand von ausgewählten Textpassagen aus der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft wiederholt und auf phänomenologische Anknüpfungspunkte hin durchgearbeitet werden. Anschließend wird mit der Husserl’schen Ethik eine ‚klassische’ phänomenologische Annäherung an Kant durchgenommen, die sich vor allem der phänomenalen Textur des Wertens, Wollens und Handelns annimmt; Husserls Ethik durchläuft verschiedene Stadien: Von einer im strengen Parallelismus zur Logik konzipierten ‚ethischen Wissenschaft’ über eine ‚Erneuerungsethik’ bis zur ‚Liebesethik’, entwickelt Husserl sukzessive das, was man eine affektive Betroffenheit durch das ‚Faktum der praktischen Vernunft’ nennen könnte. Was schon an existenziellen Momenten im verantwortlichen Entscheiden in Husserls später Ethik auftaucht, radikalisiert sich bei Sartre zu einer existenzialistischen Freiheitskonzeption, die aber wiederum doch nicht ganz ohne den kategorischen Imperativ auszukommen vermag. Kants Erbe wird also zuerst in klassisch-phänomenologischer Auseinandersetzung und dann in existenzialistischer Weiterführung in den Blick genommen.

In weiterer Folge kommen mit Ricœur und Levinas zwei Denker ins Spiel, die den Kantischen Ethikentwurf mit dem Alteritätsparadigma konfrontieren und neue Interpretationen im Spannungsfeld von Autonomie und Heteronomie forcieren: Vor allem Ricœur hat in detaillierten phänomenlogischen Analysen das Gefühl der Achtung als die ‚Gegebenheitsweise’ des moralischen Gesetzes erhellt; Levinas wiederum setzt sich in kleinen Texten über Menschenrechte mit der Kantischen Tradition des ‚Rechts der Menschheit’ als ‚Rechten des Anderen’ auseinander (Levinas 2007).

Ziel des Seminars ist es: 

1. Im Durchgang durch die verschiedenen Kant-Lektüren einen Blick für phänomenologische Interpretationsansätze zu entwickeln, sowohl in ihrem gemeinsamen Anknüpfungspunkt – der Nähe zu den Phänomenen – als auch in ihren verschiedenen, sehr unterschiedlichen Spielarten. Damit soll ein Phänomenologiebegriff sichtbar werden, der jenseits einer rigiden ‚Methode’ sich durch seine Anknüpfungsfähigkeit an verschiedenste Diskurse auszeichnet – gerade eben durch seine unmittelbare Problem- und Sachnähe. 

2. Kant ‚neu’ und ‚anders’ lesen zu lernen. Das Kantische Universum ist so reich an Ansätzen und Ideen, dass diese im 20. und auch im 21. Jahrhundert immer wieder produktiv aufgegriffen worden sind und werden. Im Seminar soll dies exemplarisch anhand der phänomenologischen Lektüren aufgezeigt werden und so dazu anregen, den klassischen Denker im Licht aktueller Problemstellungen zu lesen. 

3. Einen Überblick über die Reichhaltigkeit der Fragestellungen in der praktischen Philosophie zu gewinnen.

 

DIDAKTIK

Das Seminar wird im virtuellen Format gehalten!

Dabei stehen intensive Textlektüre von Primär- und Sekundärtexten im Selbststudium im Vordergrund.


Die Umstellung des Seminars auf digitale Lehre hat erhebliche Folgen. Das in erster Linie textbasierte Format bedeutet für Sie, dass Sie sich unabhängig von Präsenszeiten mit den Inhalten des Seminars befassen können. Das schafft Freiräume in der Zeiteinteilung. Im Gegenzug müssen Sie aber bedenken, dass Sie sich den Stoff weitgehend im Selbststudium der anspruchsvollen Grundlagentexte aneignen müssen. Es kommt also eine ganz andere, für viele von Ihnen ungewohnte Arbeitsform zu, die in erster Linie auf intensiven, eigenständigen Lektüren beruht. Unterschätzen Sie bitte nicht den dafür nötigen Arbeitsaufwand (es wird nicht weniger Arbeit werden als bei einer normalen Präsenzveranstaltung). 

Da es sich aber laut Veranstaltungskommentar um ein Seminar für Fortgeschrittene handelt, kann ich erwarten, dass Sie sich eigenständig mit den Seminarlektüren befassen. Zur Lernkontrolle werden in regelmäßigen Abständen auf moodle schriftliche Aufgaben hochgeladen, die auch von denen, die eine Hausarbeit schreiben wollen, bearbeitet werden können.

Begleitend gibt es eine Audio-Aufzeichnung des Seminars (gehalten an der Universität Wien im Sommersemester 2010), die zur Verfügung gestellt wird. Es handelt sich um einen Seminarmittschnitt, den Sie in vollem Umfang – am besten durch wöchentliches Anhören – zur Eigenarbeit nutzen können

Zu jedem Textblock werden bis zu einer festgelegten Abgabefrist Thesenblätter verfasst, die regelmäßig auf Moodle eingereicht werden. Nach jedem Textblock (Kant, Husserl, Heidegger, Sartre & Ricoeur) gibt es einen Lektüretest, bei dem das Textverständnis überprüft wird. 
Dies gilt für alle Prüfungsformen.
 

LEISTUNGSNACHWEIS

Modul Reflexion normativer Ordnungen:
Benotete Prüfungsleistung durch Hausarbeit: 10-15 Seiten. Strikte Abgabefristen.

Oben genannte Leistungen (Thesenpapiere und Lektüretests) sind Voraussetzungen für das Verfassen einer Hausarbeit im Modul „Reflexion normativer Ordnungen“.
Aufgrund der außergewöhnlichen Umstände wird diesmal die Themenwahl der Hausarbeiten auf die Themenblöcke (A) Husserl/Kant, (B) Heidegger/Kant, (C) Ricoeur/Kant eingeschränkt.
Das Seminar dient als wissenschaftliche Recherche- und Schreibwerkstatt. Wenn Sie eine Hausarbeit schreiben wollen, ist es erforderlich, dass Sie bereits während der Arbeit im Seminar (1.) ein Interesse an einem Hausarbeitsthema formulieren, (2.) dieses dann in Absprache zu einer expliziten Fragestellung mit vorläufiger Gliederung und Textbasis (einschl. Forschungsliteratur) weiterentwickeln (Exposé) und dieses (3.) schließlich in Form einer Hausarbeit ausarbeiten (ca. 10-15 Seiten).

Abgabetermin: 18. September 2020.

Alle anderen Module: 
Unbenotete Studienleistung: Thesenpapiere und erweiterte Lektüretests in Form einer „Stay Home Aufgabe“.


Weitere Informationen folgen zeitgerecht auf Moodle. 


 

Literatur:

Zur Vorlesung gibt es eine Moodle Plattform, auf der die zu lesenden Texte und Sekundärliteratur darüber hinaus zur Verfügung gestellt werden.

 

Texte von Kant

Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. In: Werkausgabe Bd. VII. Hg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt: Suhrkamp 1974.

Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft. In: Werkausgabe Bd. VII, Hg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt: Suhrkamp 1974.

Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. In: Werkausgabe Bd. VIII. Hg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt: Suhrkamp 1977.

 

Phänomenologische Kant-Lektüren: 

Husserl, Edmund: Vorlesungen über Ethik und Wertlehre 1908-1914. Hg. von Ullrich Melle. Dordrecht: Kluwer 1988.

Husserl, Edmund: Aufsätze und Vorträge (1922-1937). Hg. von Thomas Nenon und Hans Rainer Sepp. Dordrecht: Kluwer 1989.

Husserl, Edmund: Texte aus den Manuskripten. (in Sekundärtexten und Abschriften)

Levinas, Emmanuel: Verletzlichkeit und Frieden. Schriften über die Politik und das Politische. Hg. v. Pascal Delhom und Alfred Hirsch, Berlin: diaphanes 2007.

Levinas, Emmanuel: Zwischen uns. Versuche über das Denken an den Anderen. Wien/München: Hanser 1995.

Ricœur, Paul: „Kant et Husserl“, in: A l’école de la phénoménologie. Paris: Vrin 2004, 273-359.

Ricœur, Paul: Das Selbst als ein Anderer. München: Fink 1996.

Sartre, Jean-Paul: „Der Existenzialismus ist ein Humanismus“, in: Der Existenzialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays 1943-1948. Reinbek: Rowohlt 2002, 145-176. 


Sekundärliteratur (Auswahl):

Ameriks, Karl & Sturma, Dieter (Hg.): Kants Ethik. Paderborn: Mentis 2004.

Anderson, Thomas C.: The foundation and structure of Sartrean ethics. Lawrence: Regents Press of Kansas 1979.

Baumanns, Peter: Kants Ethik: die Grundlehre. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000.

Beck, Lewis White: Kants ‚Kritik der praktischen Vernunft’. Ein Kommentar. München: UTB Fink 1995.

Cobet, Thomas: Husserl, Kant und die Praktische Philosophie. Analysen zu Moralität und Freiheit. Würzburg: Königshausen & Neumann 2003.

Drummond, John & Embree, Lester (Hg.): Phenomenological Approaches to Moral Philosophy. A Handbook. Kluwer, Dordrecht 2002.

Grondin, Jean: Immanuel Kant zur Einführung. Hamburg: Junius 2007.

Grondin, Jean: „Zur Phänomenologie des moralischen ‚Gesetzes’. Das kontemplative Motiv der Erhebung in Kants praktischer Metaphysik“, in: Kant-Studien 91, 2000, 385-394.

Hirsch, Alfred: „Vom Menschenrecht zum ewigen Frieden. Grenzgänge zwischen Kant und Levinas“, in: Im Angesicht der Anderen. Levinas’ Philosophie des Politischen. Hg. von 

Pascal Delhom und Alfred Hirsch, Berlin: diaphanes 2005, 229-244. 

Höffe, Otfried: Immanuel Kant. München: Beck 2007.

Höffe, Otfried (Hg.): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein kooperativer Kommentar.?Frankfurt am Main: Klostermann 2000.

Kamieniecki, Daniel: Praktische Vernunft und ethische Sensibilität. Die ethische Erfahrung bei Emmanuel Levinas in Auseinandersetzung mit Immanuel Kants Kritik der praktischen Vernunft. Wien 2007.

Kaulbach, Friedrich: Immanuel Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“. Interpretation und Kommentar. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1988.

Liebsch, Burkhard  (Hg.): Hermeneutik des Selbst – im Zeichen des Anderen. Zur Philosophie Paul Ricoeurs.  Freiburg/München: Alber 1999.

Llewelyn, John: The hypocritical imagination. Between Kant and Levinas. London: Routledge 1999.

Loidolt, Sophie: Anspruch und Rechtfertigung. Eine Theorie des rechtlichen Denkens im Anschluss an die Phänomenologie Edmund Husserls.Dordrecht: Springer 2009. 

Loidolt, Sophie: „Husserl und das Faktum der praktischen Vernunft. Phänomenologische Ansprüche an eine philosophische Ethik.“ In: Ierna, C., Jacobs, H., Mattens, P. (Hg.): Philosophy – Phenomenology – Sciences. Essays in Commemoration of Edmund Husserl. Dordrecht: Springer 2010, 483–503.

Loidolt, Sophie: „Achten, Durchfühlen, Ansinnen – Affektive Begegnisweisen der praktischen Vernunft.“ In: I. Römer (Hg.): Affektivität und Ethik bei Kant und in der Phänomenologie. Berlin: de Gruyter 2014, 205–220.

Loidolt, Sophie: “Value, Freedom, Responsibility: Central Themes in Phenomenological Ethics.” In: D. Zahavi (Hg.): The Oxford Handbook for The History of Phenomenology. Oxford: Oxford University Press 2018, 696–716. 

Melle, Ullrich: „Einleitung des Herausgebers“, in: Husserl, Edmund: Vorlesungen über Ethik und Wertlehre 1908-1914. Husserliana XXVIII. Dordrecht: Kluwer 1988, XIII-XLIX. 

Melle, Ullrich: „Husserl’s Phenomenology of Willing”, in: Phenomenology of Values and Valuing. Hg. von J. Hart & L. Embree. Dordrecht: Kluwer 1997, 169-192.

Melle, Ullrich: „Ethics in Husserl“, in: Encyclopedia of Phenomenology. Hg. von L. Embree u.a., Dordrecht: Kluwer 1997, 180-184. 

Melle Ullrich: „Edmund Husserl: From Reason to Love”, in: Phenomenological Approaches to Moral Philosophy. A Handbook. Hg. von J. Drummond & L. Embree. Dordrecht: Kluwer, 2002, 229-248.

Melle, Ullrich: „Husserls personalistische Ethik“, in: Fenomenologia della ragion pratica. Hg. von B. Centi & G. Gigliotti, Napoli: Bibliopolis 2004, 327-356.

Ricœur, Paul: „Aesthetic Judgment and Political Judgment According to Hannah Arendt,” in: The Just. Chicago: University of Chicago Press 2000, 94-108.

Römer, Inga (Hg.): Affektivität und Ethik bei Kant und in der Phänomenologie. De Gruyter, Berlin/Boston 2014

Römer, Inga: Das Begehren der reinen praktischen Vernunft. Kants Ethik in phänomenologischer Sicht (= Paradeigmata. Band 36). Felix Meiner Verlag, Hamburg 2018.

Schönecker, Dieter & Wood, Allen: Immanuel Kant „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“. Ein einführender Kommentar. Paderborn/Wien [u.a.]: Schöningh 2002.

Schönwälder-Kuntze, Tatjana: Authentische Freiheit. Zur Begründung einer Ethik nach Sartre. Frankfurt am Main: Campus 2001.

Waldenfels, Bernhard: Phänomenologie in Frankreich. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987.

Waldenfels, Bernhard & Därmann, Iris (Hg.): Der Anspruch des Anderen. Perspektiven phänomenologischer Ethik. München: Fink 1998. 

Wood, Allen W.: Kantian Ethics. Cambridge: Cambridge University Press 2008.

Voraussetzungen:
Das Seminar ist für fortgeschrittene Studierende konzipiert. Vorkenntnisse der praktischen Philosophie Kants sind notwendig, Vorkenntnisse in der Phänomenologie hilfreich.

Online-Angebote:
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Kleingruppe(n)
Die Veranstaltung ist in die folgenden Kleingruppen aufgeteilt:
Literatur
Termine
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Lehrende
Julia Zaenker
Prof. Dr. phil. Sophie Loidolt